Wer auf der Suche nach musikalischer Extravaganz ist, sollte bei dem Hannoveraner Duo Electric Mud fündig werden. Die Band bewegt sich irgendwo zwischen Daft Punk, Tangerine Dream und Pink Floyd, während verschiedene klangliche Panoramen ineinander übergehen.

Der internationale Erfolg ihres Albums Quiet Days on Earth ist noch spürbar. Die Entwicklungen in den vorangegangenen Werken sind sehr interessant nachzuverfolgen, denn sie führten zum Meilenstein The Deconstruction of Light, dem direkten Vorgänger von Quiet Days on Earth. Aber auch der direkte Nachfolger The Inner World Outside stellte klar, dass Electric Mud anscheinend nie Ebbe in ihrem Ideenpool haben. Mehr sogar noch, unlängst wurden diverse kreative Ambitionen in Solo-Projekten verarbeitet. Grund genug für uns mit den beiden Masterminds in den Diaog zu gehen.

Wie ist die Vorgeschichte zu Electic Mud ? Wie kam es zur Gründung dieses Projektes?

Die Electric Mud Story beginnt 2011, als Lennart Hüper mit 14 Jahren seine erste E-Gitarre bekam. Hagen Bretschneider holte seinen inzwischen verstaubten Bass aus dem Keller. Lennart’s Vater Gustav wurde an den Drumcomputer gesetzt. In dieser Zeit entstanden bereits die Urformen von Heads in Beds und Black Dog, die bis heute zu unseren beliebtesten Tracks gehören. Irgendwann kam die Idee auf, das alles mal aufzunehmen. Nico Walser, Multi-Instrumentalist und erfahrener Klang-Zauberer, begleitete das Trio von Anfang an, stand immer mit Rat und Tat zur Seite und produzierte schließlich das erste Album 2013, das eigentlich nur für uns und unseren Freundeskreis bestimmt war. Da die Resonanz ermutigend war, entschlossen wir uns, Electric Mud weiterzuentwickeln. Inzwischen stapfen Lennart und Gustav Hüper nicht mehr im elektrischen Morast. Nico und Hagen haben aus Electric Mud ein Studio-Projekt gemacht. Unsere Musik wurde zunehmend komplexer und die folgenden Alben wurden immer aufwendiger und in verschiedenen Besetzungen produziert.

Was hat der Bandname für eine Bedeutung ?

Electric Mud, so heißt ein außergewöhnliches Album von Muddy Waters. In den ersten Jahren verstanden wir uns als Bluesrock-Trio. Hagen war der Meinung, dass der Bluesrock eine solide Basis für weitere Entwicklungen sein würde, schließlich bildet der Blues die Wurzel eines Großteils der Rockmusik.

Wer übernimmt welche Aufgaben im Projekt bei euch? Wir wollen alles wissen: Instrumente, Songwriting, Sounddesign, Produktion, Mix&Mastering, Grafik etc.

In den ersten Jahren hat Hagen Songs aus Gitarrenriffs und Bassläufen entwickelt. In den späteren Jahren hat Nico Ideen und Soundkonzepte von Hagen aufgegriffen, um daraus Songs zu komponieren. Die Arrangements haben beide zu dieser Zeit zusammen gestaltet. Zuletzt waren wir ein Ensemble: Timo “Timoog” Aspelmeier – composer, rhodes, hammond, synths, piano, drums, noises David Marlow – composer, piano, orchestral programming, piano, synths, percussion Nico Walser – composer, nearly all instruments, field recordings, mixing, mastering Judith Retzlik – violins, violas, cellos, voice Hagen Bretschneider – music conceptions, visual design, video editing Andrea Weiß – digital art, photography

Apropos Produktion, mit was für Software arbeitet ihr, um eure Musik aufzunehmen?

Software: Cubase DAW Recording&Mixing / WaveLab Mastering / Audacity Editing / VST Audio-Plugins von u. a. WAVES

Wieso gibt es keinen Gesang bei euch?

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Anfragen von Sängern bekommen, die unsere Musik als Grundlage für ihre Texte nutzen wollten. Das haben wir gern zugelassen. Die Ergebnisse fanden wir meistens sehr spannend. Unser Ding ist jedoch instrumentale Musik.

Warum gibt es keine Konzerte von Electric Mud?

Hagen hat Lampenfieber und alle anderen sind mit vielen unterschiedlichen Projekten beschäftigt.

„Ab und an wirft man uns einen zu großen Genre-Mix vor.“

Wie würdet ihr euch Genre-mäßig einordnen?

Ab und an wirft man uns einen zu großen Genre-Mix vor. Wir finden aber gerade das sehr spannend und überraschen sowohl uns selbst als auch unsere Fans immer wieder gern. Von daher ist eine Genre-Einordnung nicht ganz so einfach. Am treffendsten fanden wir bisher Cinematic-Progressive Rock.

Wie sehen eure Zukunftspläne aus?

Nach jedem Album nehmen wir uns einige Zeit, Abstand zu gewinnen. Dann kann man mit einer quasi leeren, weißen Leinwand wieder völlig neu zu arbeiten beginnen.

Jeder von euch ist ein kreativer Geist, der vieles zu bieten hat. Deswegen ein paar gezielte Fragen an die einzelne Person. Fangen wir mit Hagen an, denn er hat unlängst ein Buch namens Bitter Moon Poetry veröffentlicht. Wir haben es gelesen und finde es klasse – schön abgedreht!

In deinem unlängst veröffentlichten Buch schreibst du ziemlich abgefahrene Texte. Wie kommt man auf so was?

Hagen: In meiner Jugend hat mich die Literatur der Beat Generation (Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs) tief beeindruckt. Später habe ich mich mit der philosophischen Strömung der Existenzphilosophie (Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus) auseinandergesetzt. Diese Einflüsse sind sicher in der Bitter Moon Poetry erkennbar.

Wie lange hast Du für die Fertigstellung Deiner gesammelten Werke in Buchform gebraucht?

Hagen: Bis zur Fertigstellung hat es 30 Jahre gebraucht. Unter anderem liegt das an der verwendeten Schreibtechnik. Von William S. Burroughs habe ich die Cutup-Technik übernommen, die vorhandene Textangebote nach bestimmten Regeln zerreißt, um sie mehr oder weniger zufällig zu neuen Hyper-Texten zusammenzusetzen. Mein Ziel war eine gnadenlose Flut von Wort- und Bildkaskaden, die den Leser geradezu wegschwemmt, geballte Wort-Eruptionen jenseits der „konventionellen“ Lyrik.

Wird es eine Fortsetzung geben?

Hagen: Der eine oder andere Kritiker meint, dass ich mit meinen Endzeit-Assoziationen einen lyrischen Flächenbrand entfache, ein alttestamentarisches Inferno – unerbittlich, konsequent, hoffnungslos, und dass ich eine optimistisch-konstruktive Fortsetzung schreiben solle. Das fällt mir angesichts der vielen Krisen in der Welt im Moment sehr schwer …

Gibt es noch andere musikalische Projekte außerhalb von Electric Mud?

Hagen: Nein.

 

Aber auch Bandkollege Nico Walser ist nicht untätig und hat ein sehr interessantes musikalisches Projekt namens „Giant Skeletons“ am Laufen, dem die verdiente Aufmerksamkeit nicht verwehrt bleibt:

Du hast noch ein anderes Musikprojekt außer Electric Mud, dass ebenfalls gut Anklang findet. Wie kommt man zu einem Projekt namens Giant Skeletons?

Nico: Anfang der 10er Jahre stieß ich auf Max Richter, Ólafur Arnalds, Anna Meredith, Nils Frahm oder auch Poppy Ackroyd, Musiker*innen, die dem Neoklassik bzw. post-classical Genre zugeordnet werden. Da ich zudem bereits seit langem ein Fan von Ryuichi Sakamoto bin, bekam ich Lust, selbst etwas in der Art zu kreieren. Live Aufführungen / Konzerte sind nicht geplant. Vorstellbar wäre eine Klanginstallation oder/und ein Soundwalk.

Auch hier die Frage – in welche Genres würdest Du dieses Projekt einordnen?

Nico: Zwar gab es eine Inspiration (s.o.), aber ich möchte einen eigenen unverwechselbaren Ansatz entwickeln. Mich nicht auf eine definitive Form festlegen, vielmehr unabhängig von Denkschulen, Genre-Konventionen und den Anforderungen des Musik- und Kunstmarktes kreieren. Ich bin auf der Suche nach einer originellen Soundpalette.

Die Musik wurde auch für Polar Sounds ausgewählt. Was hat das auf sich?

Nico: Für Polar Sounds wurden Komponist*innen ausgesucht, die sich einen Naturklang –field recording- auswählen durften, welcher vom AWI (dem deutschen Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung) aufgenommen wurde. Den jeweiligen Sound bearbeitet jede/r eigenständig künstlerisch. Die Ergebnisse werden diesen November als Sampler veröffentlicht von ‚cities and memory‘, welches wiederum ein englisches Mammutprojekt ist, das sich zum Ziel gesetzt hat, eine Global Soundmap zu erstellen.

Sogar Ecki Stieg hat was in den Grenzwellen gebracht. Was war das für ein Gefühl? Und kennt ihr euch persönlich?

Nico: Wir kennen uns seit den 90er Jahren, als Ecki noch bei radio ffn seine Grenzwellen Sendung machte. Nicht alles von mir gefiel ihm über die Jahrzehnte (was völlig in Ordnung ist), sodass ich mich jedes Mal sehr darüber freue, wenn ich mit einem Album wie aktuell *sleep tides sein Wohlgefallen finde. Ich habe großen Respekt für seinen kosmopolitischen Musikgeschmack. Für mich ist er eine der wichtigsten Radiopersönlichkeiten, vergleichbar mit dem Wirken des englischen John Peel.

Danke an Nico, danke Hagen.

(Ecki Stieg und seine Grenzwellen sind auch einer der Vorbilder von Sound of Prog Gründer und Moderator André. Die Grenzwellen waren schon zu ffn-Zeiten ein Radioformat mit allem, was dazu gehört. Gute redaktionelle Arbeit und Moderation. Echtes Radio!)

Auf jeden Fall kann man den Jungs von Electric Mud wohl kaum vorwerfen, unkreativ zu sein. Mit all ihren Arbeiten stellen sie den Kunstfaktor klar heraus, ohne langweilig zu wirken. Eine Seltenheit heutzutage.

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